Veröffentlicht von Tillman Grünberg
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Am 19. November 2025 geschah das Unvorstellbare: Mit gerade einmal 150.000 Einwohnern hat Curaçao sich erstmals für eine FIFA-Fußball-WeltmeisterschaftUSA, Mexiko und Kanada qualifiziert – und wird damit der kleinste Teilnehmer in der 94-jährigen Geschichte der Endrunde. Der entscheidende Moment? Ein 0:0-Unentschieden in Kingston, Jamaika, gegen die Heimmannschaft. Kein Tor, aber ein Punkt. Und damit der Traum wahr geworden.
Die Feierlichkeiten in der Hauptstadt Willemstad glichen einer Volksfest-Revolution. Autos hupten, Trommeln schlugen, Kinder kletterten auf Laternen. Die Süddeutsche Zeitung sprach von „historischen Szenen“, Sky Sport von „Jubel, der kein Ende kannte“. Und der Spiegel-Online-Bericht fasste es präzise zusammen: „Eine sensationelle Qualifikation – und einer fehlte am Abend des Triumphs: Trainer Dick Advocaat.“
Advocaat ist kein typischer Trainer für Curaçao. Er hat Bundesliga-Titel gewonnen, DFB-Pokale, war Nationaltrainer der Niederlande. Doch hier, auf dieser winzigen Insel, hat er etwas gefunden, das er lange vermisst hatte: eine Mannschaft, die spielt, ohne zu hoffen. „Wir haben nicht gesagt, wir wollen die WM. Wir haben gesagt: Wir spielen jeden Ball, als wäre es das letzte Mal“, sagte ein Spieler nach dem Spiel. Advocaat hätte das sagen können. Hat er aber nicht.
Auch Suriname, mit 600.000 Einwohnern der kleinste Staat Südamerikas, verpasste die WM-Premiere. Ein 1:3-Auswärtssieg in Guatemala ließ den Traum platzen – doch als Gruppenzweiter hat Suriname noch eine letzte Chance: die Play-offs im März 2026. Panama hingegen sicherte sich mit einem 3:0 gegen El Salvador direkt das Ticket. Haiti, nach 52 Jahren Abwesenheit, kehrte zurück. Und Curaçao? Curaçao hat einfach angefangen.
Die FIFA hat die Qualifikationssysteme geändert – nicht, um gerechter zu sein, sondern um mehr Geld zu verdienen. Doch Curaçao hat sie gezwungen, zuzugeben: Fußball ist nicht nur ein Geschäft. Er ist ein Traum, den auch die Kleinen träumen dürfen.
Curaçao profitierte von einer extrem starken Teamdisziplin und einer taktischen Ausrichtung unter Dick Advocaat, die auf Konterfußball und defensive Stabilität setzte. Im entscheidenden Spiel gegen Jamaika reichte ein Unentschieden – und die Mannschaft nutzte die Gelb-Rote Karte für Jon Russell in der 65. Minute strategisch, um das Spiel in Überzahl zu halten. Die Spieler, viele davon aus den Niederlanden stammend, verfügten über professionelle Erfahrung, die sie in der Heimat gesammelt hatten.
Advocaat verließ aus familiären Gründen die Karibik kurz vor dem entscheidenden Spiel. Sein Sohn erkrankte schwer, und er reiste zur Unterstützung nach Holland zurück. Der Verband bestätigte, dass es sich um einen privaten Notfall handelte. Advocaat verfolgte das Spiel live aus der Heimat und rief nach dem Abpfiff die Mannschaft an – laut Berichten war er „tränenerstickt“.
Etwa 60 % der Spieler der Curaçao-Nationalmannschaft haben niederländische Wurzeln oder spielen in den niederländischen Ligen. Viele wurden dort ausgebildet, einige sogar bei Topvereinen wie Ajax oder Feyenoord. Die Sprache, die Infrastruktur und die Trainerphilosophie sind stark niederländisch geprägt – was Advocaat als ehemaliger Bundesliga-Trainer perfekt nutzte. Curaçao ist also kein „kleiner Staat“, sondern ein transatlantisches Projekt mit europäischem Rückhalt.
Curaçaos Erfolg zeigt, dass die neue WM-Form mit 48 Teams tatsächlich Chancengleichheit schafft. Suriname und Haiti, die ebenfalls in der CONCACAF-Qualifikation aufstiegen, haben nun ein klares Vorbild: Es reicht nicht, talentiert zu sein – man muss konsequent, diszipliniert und mit langfristiger Vision arbeiten. Haiti kehrte nach 52 Jahren zurück – Curaçao macht es jetzt mit nur 150.000 Einwohnern. Die Botschaft: Größe zählt nicht. Glaube schon.
Curaçao wird wahrscheinlich als Underdog in einer Gruppe mit Top-Nationen landen. Die Strategie wird weiterhin auf kompakte Defensive, schnelle Gegenstöße und individuelle Klasse setzen – etwa durch den schnellen Stürmer Stefano Schiavone oder den erfahrenen Mittelfeldspieler Shanique van der Merwe. Die Mannschaft wird nicht gewinnen wollen – sie wird kämpfen. Und das reicht oft schon, um Weltfußball zu überraschen.